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Ein sommerlicher Neujahrsgruß
1906.
Ferienrast hab' ich gemacht.
Noch mischt der süße Duft der Rosen
Sich mit der linden Lüfte Kosen,
Noch steht der Wald in grüner Pracht,
Der Sommer ist noch weit vom Ende,
Da mahnt mich der Kalendermann
Um ein Poem zur Jahreswende,
Daß er sein Werk vollenden kann.
Fürwahr, der Freund tut seine Pflicht!
Ich habe ja vor vielen Wochen
Schon ihm solch ein Poem versprochen;
Die Muse, meint er, feiert nicht;
Da hat er recht. Wer ihr ergeben,
Der singt in Sommerherrlichkeit,
Wenn über ihm die Lerchen schweben,
Ein Lied auch für die Winterzeit.
Im Sonnenglanz, am Meeresstrand,
Die blaue Flut zu meinen Füßen,
Drängt mich's, euch inniglich zu grüßen,
Ihr Freunde all im Vaterland.
Und wie die Wellen rauschend ziehen
Daher, dahin in raschem Lauf,
Erklingen Feiermelodien
Mir aus der tiefsten Seele auf.
Sie tönen jenem Geist, der frei
Die Menschheit fort und fort entsündigt
Und ihr stets neues Heil verkündigt,
Wie tief im Unheil sie auch sei.
Dem Geist, der zu gewalt'gem Streben
Dich, Volk der Arbeit, flammend mahnt
Und dir zu einem neuen Leben
Trotz jedem Feind die Wege bahnt.
O, möge dieses Geistes Kraft
Zu opferschwerem, hartem Ringen
Dich ganz erfassen, dich durchdringen
Mit heil'ger Menschtumsleidenschaft,
Die endlich sicher dich entwindet
Der Knechtschaft Fluch, des Elends Schoß,
Die zwingt, was dich bedrückt und bindet
An ein unwürdig niedrig Los!
Mach' deine Seele frei vom Zwang,
Vom Drucke sklavenhafter Bürde,
Daß das Bewußtsein deiner Würde
Dir gibt den echten Kampfesdrang,
Und daß du sonder Furcht und Bangen
Dich scharst ums Banner deines Rechts
Mit deinem Hoffen und Verlangen
Zum Heil des kommenden Geschlechts!
Mit diesem Wunsch, der rein und klar
Wie Meerflut nimmt den Weg ins Weite,
Geb ich euch, Freunde, das Geleite
Zu neuem Kampf im neuen Jahr.
Nicht ruh'n, nicht rasten, nimmer zagen,
Mit allen Guten im Verein
Stets mutig, siegesfreudig wagen,
Soll allzeit unsere Losung sein.
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